Couragiert! Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit – unter diesem Titel stand die Online-Veranstaltung des hochschuldidaktischen Dienstes (HDD) der HöMS am 26. Oktober 2022. Sie fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Demokratie- und Menschenrechtsbildung“ des HDD statt, die alle 2-3 Monate Online-Veranstaltungen zum Thema bietet.
Zu Gast waren Mustafa Cimşit, Imam und Religionswissenschaftler, und Dr. Peter Waldmann, Kulturwissenschaftler und stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Mainz. Sie sind Gründer und Geschäftsführer von Maimonides, dem jüdisch-muslimischen Bildungswerk mit Sitz in Ingelheim. Das Bildungswerk möchte dazu beitragen, dass Glaubensgemeinschaften einen produktiven Platz im zunehmend multikulturell geprägten demokratischen Rechtsstaat finden können. Dazu gehört, sich gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus einzusetzen und einen Prozess von Bildung und Aufklärung zu starten, der von den Glaubensgemeinschaften selbst entwickelt wird.
Das Thema, aber auch die in Deutschland einmalige Verbindung eines jüdisch-muslimischen Bildungswerks stießen auf großes Interesse: Mehr als 80 Teilnehmende aus 10 Bundesländern, darunter viele Angehörige der Polizei, hatten sich zur Veranstaltung zugeschaltet.
Ambiguitätstoleranz zu fördern ist ein zentrales Anliegen des Bildungswerks. Ambiguitätstolerant ist, wer zwischenmenschliche Widersprüche und kulturelle Unterschiede wahrnehmen kann, ohne sie als Bedrohung, z. B. der eigenen kulturellen Identität, zu bewerten. Die Wahrnehmung von Mehrdeutigkeit, wurden in dieser Veranstaltung immer wieder thematisiert und mit den fachlichen Inputs zum Judentum und Islam verknüpft.
Anschaulich und gut verständlich führten die beiden Experten in die Geschichte des Judentums in Deutschland ein bzw. vermittelten Basiswissen zum Islam. Auch die Entwicklung von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus wurde besprochen. Die Komplexität des Themas wurde deutlich, auch wenn der zeitliche Rahmen es nicht zuließ, alle Dimensionen zu beleuchten. Die Teilnehmenden konnten mittels Umfragen ihr Vorwissen testen und ihre Fragen und Nachrichten im Chat mitteilen. So fand trotz der großen Gruppe ein Austausch statt.
„[…] Wie kann es sein, dass sich so viele Menschen gemeinsam auf ein gemeinsames Feindbild einigen und es für sich als legitim erachten?“
Das fragte eine Teilnehmerin mit Blick auf die Geschichte des Antisemitismus. Dr. Peter Waldmann zeigte auf, dass der Antisemitismus ein Weltbild ist, das viele und wandelbare Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden umfasst und mit einer Leidenschaft des Hasses verbunden ist. Antisemiten versuchen, Vorgänge in Gesellschaft und Politik, die sie sich nicht erklären können oder wollen, mit diesem Weltbild zu deuten. Mit Bezug zu Sartre stellt Dr. Waldmann fest: „Das Problem des Antisemitismus ist, dass er eine Leidenschaft des Hasses ist – und eine Leidenschaft wird man ungerne los“. Damit weist er auf den emotionalen Mehrwert hin, den der Antisemitismus für seine Verfechterinnen und Verfechter darstellt.
„‘Alltägliche‘ Begriffe mehr hinterfragen, dahinter steckt oft was ganz Anderes (z. B. Dschihad). Dankeschön!“
Diese Erkenntnis zog eine Teilnehmerin aus dem Impulsvortrag von Herrn Cimşit. Der Religionswissenschaftler und Imam beschreibt den Islam als Diskursreligion, in der unterschiedliche Meinungen erlaubt und erwünscht sind. Fest steht das Glaubensbekenntnis, die Auslegung der Schrift jedoch kann unterschiedlich ausfallen und auch an die zeitlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Das stand bis ins 18./19. Jahrhundert für den klassischen Islam. Was wir heute in fundamentalistischen Strömungen des Islam sehen, ist, dass diese Ambiguitätstoleranz und das Zulassen unterschiedlicher Perspektiven zurückgedrängt werden. Diese Verhärtung auf eindeutige Positionen ist jedoch nicht exklusiv für den Islam, es gibt sie z. B. auch im Christentum. Die Vorstellung von Islam sollte sich jedoch nicht in dieser verzerrten Wahrnehmung erschöpfen. Deutlich wird das an zentralen Begriffen wie Scharia, Fatwa und Dschihad, die Herr Cimşit in ihrer lexikalischen und terminologischen Bedeutung und in der von Medienberichterstattung geprägten Bedeutung, z. B. über terroristische Anschläge, darstellt. Auch hier ist Ambiguitätstoleranz wichtig, um der Versuchung zu widerstehen eine festgefügte Vorstellung „des Islam“ zu entwickeln, die dazu führen kann, muslimischen Gläubigen mit Vorurteilen z. B. von „Rückständigkeit“ zu begegnen.
Was hilft gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit?
Das fragten sich die Teilnehmenden am Abschluss der Veranstaltung, angesichts von verfestigten Weltbildern und strukturellem Antisemitismus und Rassismus. Als Fazit bleibt: Wir können Mehrstimmigkeit und Mehrdeutigkeit wahrnehmen lernen ohne sie als beunruhigend zu bewerten und so unsere Ambiguitätstoleranz trainieren. Studien zeigen: mit steigender Ambiguitätstoleranz wächst auch die Bereitschaft mit anderen zu kooperieren und ihnen zu vertrauen.
Ohne sich die Illusion zu machen, alle Menschen erreichen zu können, ist es wichtig, antisemitischen und antimuslimischen Aussagen und Handlungen entgegen zu treten, sie als solche sichtbar zu machen und sie zu hinterfragen, damit sie nicht von Populisten und Populistinnen als Ausdruck einer „schweigenden Mehrheit“ dargestellt werden können.
Und: Es ist unbedingt notwendig, Kontakt und kommunikativen Austausch anzuregen und zu unterstützen, so dass viele Menschen eine Verbindung zu muslimischem und jüdischem Leben in Deutschland herstellen können – in all seiner Lebendigkeit, Vielfalt – und Mehrdeutigkeit.