Harald Dörrschmidt (links) und Klaus Slapnicar (rechts) halten gemeinsam ein Buch in einem Garten

Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit

Tod von Prof. em. Dr. Harald Dörrschmidt am 3. September 2022

Von Honoré de Balzac stammt der Ausspruch: Man lebt zweimal: das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.

Harald Dörrschmidt gehörte als Dozent am Verwaltungsseminar in Darmstadt seit 1978 in seiner Funktion als Jurist zum Aufbaustab der Verwaltungsfachhochschule Hessen. Zusammen mit seinem Kollegen Jürgen Distler, einem Volkswirt, stellte das hessische Ministerium des Innern beide erfahrenen Lehrkräfte von den Darmstädter und Wiesbadener Verwaltungsseminaren ein, um eine Konzeption für die neue Ausbildung des gehobenen Dienstes in der Bundesrepublik zu erarbeiten. Der Impuls dazu ging auf das Jahr 1975 zurück. Im damaligen Bundesrechtsrahmengesetz wurde bestimmt, dass Beamtinnen und Beamte des gehobenen Dienstes bundesweit an Fachhochschulen ausgebildet werden sollten. Dafür gab es eine Übergangsfrist bis Ende 1979. Als Harald und Jürgen 1978 in den Aufbaustab des Wiesbadener Innenministerium gegenüber dem Wiesbadener Hauptbahnhof kamen, stand eine Herkules-Aufgabe vor ihnen. Die Zeit drängte. 

Harald konzentrierte sich auf die Fertigstellung des Studienkonzepts der dreijährigen Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt und dabei insbesondere auf die gesamte inhaltliche Konzeption der juristischen Fächer. Zwar gab es schon in anderen Ländern der Bundesrepublik Vorlagen für diese neue akademische Ausbildung des gehobenen Dienstes. Jedoch musste für die hessischen Verhältnisse das Ausbildungskonzept des gehobenen Dienstes stark individualisiert werden. Als Mitglied des Aufbaustabs gelang Harald dies für seinen Arbeitsbereich in vorbildlicher Weise.  s

Bereits im Sommersemester 1980 wurde mit einer ersten Kohorte in der Abteilung Darmstadt der neu gegründeten Verwaltungsfachhochschule eine Erprobung der Konzeption durchgeführt. Harald war dort nicht nur die Lichtgestalt für diesen ersten Durchlauf, sondern auch zugleich prädestiniert, der erste Abteilungsleiter der künftigen Abteilungsstruktur der Verwaltungsfachhochschule in Darmstadt zu sein.

Zum Wintersemester 1980/81 sollten an den Abteilungen: Kassel, Gießen, Wiesbaden und Frankfurt am Main ebenfalls die Lehrveranstaltungen für die Studierenden des gehobenen Dienstes beginnen nach dem gelungenen Darmstädter Vorlauf der neuen Ausbildungsära. 

Als Privatrechtler wie Harald und praktisch tätiger Jurist in der Verwaltung des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mainz sowie Rechtsanwalt bewarb ich mich um eine Professur an der hessischen Verwaltungsfachhochschule. Zum Bewerbungsgespräch saß ich den beiden Mitgliedern des Aufbaustabes für den Fachbereich Verwaltung, Jürgen Distler und Harald, sowie drei anderen Personen gegenüber. Nach Schilderung meiner Vita kam es zu konkreten Fragestellungen, insbesondere durch Harald. Er interessierte sich für meine Dissertation; womit ich kaum gerechnet hatte. Gleichwohl gelang es mir, da meine wissenschaftliche Arbeit noch nicht allzu lang zurücklag, ihm und dem Einstellungsgremium die wissenschaftliche Bedeutung meiner Abhandlung so näher zu bringen, dass ich zum 1. Oktober 1980 als einer der jüngsten Professoren an die Verwaltungsfachhochschule in Hessen berufen wurde. 

Damit waren Harald und ich nicht nur professorale Kollegen. Sondern über die mir zugleich anvertraute Abteilungsleitung der größten Abteilung Frankfurt am Main der Verwaltungsfachhochschule wurden wir auch beide als Fachbereichsleiter vor Ort ein zweites Mal miteinander kollegial verbunden. 

Gerade die Treffen zur Organisation des Studiums in der Aufbauphase, in die Harald seine vielfältigen Erfahrungen gerade auch vom Vorlauf der ersten Kohorte in Darmstadt einbringen konnte, schufen die Grundlage für eine lebenslange Freundschaft. 

Die Aufbauarbeit und die inhaltliche Gestaltung für den zu 80 % maßgeblichen juristischen Anteil an den Curricula im Fachbereich Verwaltung stellte und stellt eine herausragende Lebensleistung von Harald dar. Sie hat die Ausbildungsstruktur in rechtlichen Angelegenheiten nahezu 40 Jahre geprägt.

Welche große Anerkennung Harald als Abteilungsleiter in Darmstadt beim seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst zuteil wurde, erinnere ich noch bei seiner Verabschiedung. Viele Beiträge und individuelle Geschenke, die ihm nicht nur seine schon lange im Berufsleben stehenden ersten Studierenden aus der „Probe-Kohorte“ des Sommers 1980 überreichten, sondern auch andere Studierende statteten Harald mit Wortbeiträgen Dank ab.

Aber noch eine zweite hervorhebenswerte Initiative geht auf Harald zurück. Für die starke juristische Konzentration der Ausbildung des gehobenen Dienstes, die in vielen Bereichen dem klassischen juristischen Studium an den Universitäten in ihrer individuellen Ausgestaltung für Sach- und Gestaltungswissen des gehobenen Dienstes als aliud zu qualifizieren ist, stand eine individuelle Gesetzessammlung nicht zur Verfügung. Die klassischen roten Backsteine oder Becksteine des Münchener Verlages, damals noch Schönfelder und Sartorius, waren für den Einsatz der neuen Ausbildung der Inspektoren nicht geeignet. Sie nahmen nicht auf die hessischen Besonderheiten der kommunalen Gesetzgebung und der landesrechtlichen Spezifikationen Bezug und waren damit schlicht unbrauchbar. Harald bemühte sich als dienstältester Kollege und Freund, im Kontakt mit anderen Verlagen zu einer Lösung zu kommen. Dabei hatte er ein anspruchsvolles Qualitätsniveau, dass nur ein Verlag, nämlich der Boorberg Verlag, in seiner Loseblattsammlung erfüllen konnte. 

Anfang 1981 fanden dann mit dem Gesellschafter des Verlages, Herrn Doktor Oesterhelt, und den drei Abteilungsleitern aus Kassel, Friedrich Oetzel, Harald aus Darmstadt und mir aus Frankfurt die entscheidenden zum Vertragsabschluss führenden Gespräche statt. Hierbei ging es nicht nur um vertragliche Regelungen mit dem Boorberg Verlag. Entscheidender war die Abstimmung, welche Vorschriften inhaltlich in die damals einbändige VSV Hessen Eingang finden sollten. VSV stand und steht als Abkürzung für „Vorschriften Sammlung für die Verwaltung“, ergänzt um das Wort Hessen als Projektion für die neue Ausbildung in diesem Land. 

In demselben Jahr gab es die Möglichkeit durch die hessische Landesregierung, frei über das so genannte Hessenzeichen zu verfügen. Es war der hessische Löwe, allerdings nicht in gestreifter Form wie im Landeswappen, sondern nur als Umriss. Diese marketingspezifische Verbundenheit durch die VSV Hessen nach außen zu kommunizieren, war für Verlag und Herausgeber eine bevorzugte Besonderheit. Des Weiteren hatten wir mit dem Boorberg Verlag vereinbart, dass Harald, Friedrich Oetzel und ich als Gründungsherausgeber der VSV Hessen, auch zur Unterscheidung von anderen Vorschriftensammlungen in Baden-Württemberg, Bayern sowie anderen in alten und neuen Ländern als Gründungsherausgeber nicht nur auf dem Deckblatt der VSV Hessen, sondern auch auf dem Einband namentlich erschienen. 

Die alphabetische Rangfolge Dörrschmidt/Oetzel/Slapnicar führte dann allerdings auch bei manchen Studierenden zu einer neuen Abkürzung des „Doesl“. Ich überlasse es Ihnen, mit dieser Assoziation ihre eigene zu entwickeln.

Damit verfügte und verfügt der Fachbereich Verwaltung über eine stets aktuelle Gesetzessammlung für den Unterricht. Generationen von Diplom-Verwaltungswirten und später Studierenden mit Bachelor-Abschluss haben sie als Arbeitsgrundlage ebenso wie Dozentinnen und Dozenten nutzen können. Friedrich Oetzel und ich sind Harald überaus dankbar, nachdem er seine erste Idee für eine solche individuelle Gesetzessammlung entwickelt hatte und sie mit dem Boorberg Verlag in Stuttgart der Realität näher bringen konnte, dass er Friedrich und mich als Abteilungsleiter in Kassel und Frankfurt dazu anregen konnte, mit ihm zusammen als Gründungsherausgeber für diese zunächst einbändige, später zweibändige VSV Hessen sowie nachfolgend für die Verwaltungsseminare mit der Spezialausgabe der VSV AuF (Ausbildung und Fortbildung) zur Verfügung zu stehen. Bis zur 120. Ergänzungslieferung hat Harald seine Kapazitäten auch nach seiner Pensionierung dafür eingesetzt. 

Für seine zweite Lebensleistung als maßgeblich initiativer Herausgeber der VSV Hessen erweisen wir Harald und seiner Familie für beide Lebensleistungen in dieser und anderer Art unsere höchste Anerkennung.

Unser Mitgefühl für den Verlust und unser herzliches Beileid entbieten wir dabei gerade auch seiner Frau Heidi sowie Mitgliedern seiner Familie und Verwandtschaft.

Mit aufrichtigen Beileid und einem letzten verehrungsvollen Gruß verneige ich mich vor Harald und seinem Leben in der Wirklichkeit. In seinem zweiten Leben wird er uns allen in Erinnerung bleiben.
 

Trauerrede von Klaus Slapnicar am 13. September 2022

 

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