Foto des Workshops zum Thema „Racial Profiling“ der Forschungsstelle Extremismusresilienz

Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit

Workshop zum Thema „Racial Profiling“ der Forschungsstelle Extremismusresilienz

Der Abschlussbericht der Expertenkommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ (veröffentlicht im Jahr 2021) empfahl das Themenfeld „Racial Profiling“ stärker in den Blick zu nehmen. Die neue Forschungsstelle „Extremismusresilienz“ an der Hochschule nahm diese Anregung auf und organisierte als ersten Schritt am 16. November 2023 einen interdisziplinären Workshop. Vertreten waren dabei die Disziplinen der Ethnologie, Soziologie, Geschichte, Rechts-, Politik- , Verwaltungs- und Islamwissenschaften. Prof. Dr. Julian Junk und Dr. Eliane Ettmüller führten zu Beginn in die Relevanz des Themenfelds für Forschung und Gesellschaft ein. Anschließend wurden in kurzen Vorträgen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedliche Aspekte aus verschiedenen disziplinären Perspektiven vertieft und besprochen.

Marcel Schmeer, Historiker der Universität der Bundeswehr München, berichtete aus seiner Forschung zur Berliner Polizei ab den 60er Jahren im Kontext der zunehmenden Zuwanderung von Personen aus dem Ausland. Er erläuterte die Schaffung des „Arbeitsgebiets gezielte Ausländerüberwachung“ (AGA) der West-Berliner Polizei im Jahr 1971, welches illegalen Einreisen über Ostberlin und der Kriminalität im „migrantischen Milieu“ repressiv entgegentreten und zugleich vertrauensbildende Maßnahmen zu „legal“ in der Halbstadt lebenden Ausländerinnen und Ausländern initiieren und umsetzen sollte. Sehr früh wurden im polizeilichen Kontext dafür Beamtinnen und Beamte mit entsprechenden Sprach- und Kulturkenntnissen eingesetzt und weitergebildet. Prof. Dr. Thomas Bierschenk von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ergänzte, dass relativ früh die Berliner Polizei als vorbildlich gehandelt wurde und die französische Polizei sich Expertise von den Berliner Kolleginnen und Kollegen aneignen wollte. Gleichzeitig wurde der Umgang der AGA im öffentlichen Diskurs auch kritisiert.

PD. Dr. Eva Herschinger, ebenfalls von der Universität der Bundeswehr München, schilderte ihre Erkenntnisse zur Entwicklung des Diskurses nach dem Bekanntwerden der Existenz von Chatgruppen, die sich rechtsextreme Inhalte teilten, auf dem ersten Polizeirevier in Frankfurt am Main. Sie identifizierte dabei eine Dislokation des Diskurses, der plötzlich erkennen ließ, dass „das Andere“, wogegen Prävention eigentlich dienen sollte, nun plötzlich mitten in der Polizei zu finden war.

Johannes Siegel von der Universität Konstanz erkennt in der Struktur der Rechtsnormen u.a. zur Schleierfahndung die rechtliche Grundlage des „Racial Profiling“. Dabei handelt es sich ihm zufolge um Ermächtigungsgrundlagen für Befragungen oder Identitätskontrollen, „die einem Ziel unterliegen und deren Tatbestand sich lediglich in einem Kontrollraum sowie dem Ermessen der Polizei erschöpfen“. Die Schleierfahndung stelle im Polizeirecht, welches ein Gefahrenabwehrrecht ist, eine Ausnahme dar, weil keine Gefahr vorliegen müsse, um einzuschreiten. Die Polizei fülle den Ermessensspielraum, der vom Gesetzt gegeben wird, mit Inhalt, deshalb sei die wichtigste Frage, wie die Polizei dieses Wissen bilde.

Dr. Jan Beek von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz konzentrierte sich in seinem Vortrag unter anderem auf eine exemplarische Situation, die er und sein Team während seiner ethnografischen Forschung bei der Polizei im Rhein-Main-Gebiet beobachtet hatten. In dieser Situation einer reaktiven Personenkontrolle spielte die „Rassifizierung in der Personenbeschreibung“ der Meldung, die dem Einsatz zugrunde lag, für die Polizei selbst keine dominante Rolle. Bei der Suche nach der zu kontrollierenden Gruppe Jugendlicher orientierte sich das Team der Streife vor allem am Geschlechterverhältnis (zwei Frauen und drei Männer). Die Beamtinnen und Beamten vor Ort hätten auf den rechtlichen Rahmen und die Eigensicherung geachtet – die Praktiken der Polizistinnen und Polizisten wurden primär von rechtlichen Logiken bestimmt. Die kontrollierten Jugendlichen hingegen hätten die Situation anders wahrgenommen – als „Racial Profiling“. Die Polizistinnen und Polizisten widersprachen dieser Deutung nicht aktiv. Dazu wurde auf Forschung zu „migrantisierten Akteurinnen und Akteure“ verwiesen, die aufzeige, „dass diese sich – in einem Kontext wahrgenommener allgemeiner gesellschaftlicher Diskriminierung – durch häufige Polizeikontrollen gedemütigt fühlen und oft vermuten, dass die Kontrolle ausschließlich durch Kulturalisierung, Ethnisierung oder Rassifizierung bedingt ist.“  Dieses Beispiel zeige exemplarisch, welche komplexen Dynamiken solchen Situationen zugrunde liegen. Polizeiforschung zu „Racial Profiling“ müsse in diesem Sinne immer auch Gesellschaftsforschung sein, waren sich die Teilnehmenden des Workshops einig.

Prof. Dr. Thomas Bierschenk stellte den generellen Ansatz des Buches „Policing Race, Ethnicity and Culture – Ethnographic Perspectives across Europe“ (Hg. Beek, Bierschenk, Kolloch, Meyer, Manchester University Press 2023) vor. viele Begriffe rund um „Racial Profiling“ seien in den USA gesellschaftlich wie wissenschaftlich entwickelt worden; ihre unhinterfragte Anwendung in anderen Länderkontexten werfe allerdings Probleme auf, nicht zuletzt wegen der gesellschaftlich prägenden anhaltenden Wirkung der Sklaverei in den USA, die so nicht übertragbar sei, genauso wenig wie die sehr unterschiedlichen Organisationsstrukturen US-amerikanischer Polizeien. Hier gelte es Konzepte nuanciert zu betrachten und zu adaptieren. Dass die berufliche Sozialisation „rassifizierte Wahrnehmungsmuster“ in der Polizei fördere, wurde mit Verweis auf eine Vergleichsstudie zwischen Deutschland und Frankreich (Gauthier, De Maillard) ausgeführt: In Frankreich würden deutlich mehr verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt als in Deutschland. Gleichzeitig würden in Deutschland Kontrollen von Minderheiten nicht deutlich häufiger als die von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft durchgeführt, während in Frankreich diese doppelt bis dreifach so oft erfolgten. Ursächlich dafür sind unter anderem unterschiedliche Polizeiführungskulturen und Trainingsinhalte. Eine weitere Studie (Kolloch, Meyer), die auf inszenierten Rollenspielen im polizeilichen Einsatztraining beruht, verwies auf die besondere Bedeutung angemessener Kommunikation nicht nur in Interaktionen mit dem „polizeilichen Gegenüber“, sondern auch innerhalb einer Polizeistreife, insbesondere wenn diese gemischtgeschlechtlich aufgestellt ist. Die Studie zeigt auch, dass in polizeilichen Interaktionen das Differenzkriterium „Race“ oft durch Kategorien wie Alter, Geschlecht und Interaktionsdynamik überschrieben wird.

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