Für die Auftaktveranstaltung dieses Formates konnte der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts, Herr Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof, gewonnen werden. In seinem Vortrag stellte er Überlegungen zu aktuellen Fragen der Demokratie an, ausgehend von der Frage, ob unser demokratischer Rechtsstaat in der Lage sei, seine aktuellen Aufgaben zu erfüllen. Ausgehend von der deutschen Historie und den Um- und Aufbrüchen 1919, 1949 und 1989, bejahte er die Frage im Ergebnis, skizzierte zugleich aber eine Vielzahl aktueller Probleme und Grenzverschiebungen auf. Sie reichen von der Haftung der Nichtstörer für Polizeikosten bei Hochrisikospielen, über den verloren gehenden Konnex von Freiheit und Verantwortung in einer zunehmend auf staatliche Risikoübernahme und sogar staatliche Beteiligung ausgerichteten Wirtschaftswelt, über Fragen von Migration und Staatsbürgerschaft sowie der Herrschaft des Rechts und der notwendigen Demut eines guten Richters bis zu überbordender Bürokratie und Regelungswut, die sich seiner Ansicht nach aus einem institutionalisierten Misstrauen gegen den Bürger speist und der systematischen wirtschaftlichen Überforderung des Staates durch eine überbordende Anspruchs- und Erwartungshaltung einerseits und den allzu schnellen und bequemen Weg in die Staatsverschuldung und mündeten schließlich in einem Appel, den Umgang mit technischen Innovationen, insbesondere der künstlichen Intelligenz, nicht als Frage der Regulierung Mensch vs. Maschine zu betrachten, sondern die mittels der Maschinen von Menschen über andere Menschen ausgeübte Macht klug zu begrenzen.
Wie es sich für ein Dialogformat gehört, dass die Hessischen Gespräche für Staat und Demokratie explizit sein wollen, stand Prof. Dr. Kirchhof im Anschluss ausführlich für Fragen bereit und beeindruckte die Zuhörenden dabei erneut mit seinem überaus breiten Wissens- und Erfahrungsschatz, der von Fragen der deutschen Wiedervereinigung und außerhäusigen Verhandlungen des BVerfG in Stendal, über Details der Steuerverteilung im Verfassungsstaat und der besseren finanziellen Ausstattung der Kommunen reicht und in der Anregung mündete, auch die Studierenden an den Hochschulen, gerade an jenen für den öffentlichen Dienst, bereits früh etwa anhand von Besuchen in Gerichten und (Kommunal-)parlamenten mit der Praxis von Rechtsetzung und -findung (im wahrsten Sinne des Wortes) „vertraut“ zu machen und sie so zu Verantwortungsträgern, also Bürgerinnen und Bürgern und damit Trägern des Gemeinwesens auszubilden.